Sonntag, 3. Februar 2013

Katherine Mansfield (14.10.1888 - 09.01.1923) - 125. Geburtstag #02


K.M.  Tagebuch, 19. Mai 1919

"Ich bitte ja nur um Zeit, das alles schreiben zu können - Zeit,
meine Bücher zu schreiben. Dann macht es mir nichts aus, sterben zu müssen.
Ich lebe um zu schreiben. 
Die schöne Welt (Gott, wie schön ist die sichtbare Welt!) ist da, und ich 
bade in ihr und fühle mich erfrischt. Aber es ist mir, als hätte ich eine PFLICHT,
als hätte man mir eine Aufgabe zugewiesen, die ich beendigen muß. 
Laß sie mich beendigen: laß sie mich beendigen, ohne Eile, damit alles schön wird,
wie ich es nur machen kann..."    
Quelle: 
"Katherine Mansfield - Leben und Werk in Texten und Bildern"  
Von Ida Schöffling, insel tb, 1996

       
Kohlestift & Pastell auf Kraftpapier - ca. 20x30cm (Charcoal & Pastel)


Es ist das erste mal, daß ich mit Kohle gezeichnet habe. Diese tiefschwarzen Linien machen einerseits Angst, weil kleinste "Fehler" sehr deutlich hervorstechen. Andererseits - wenn die Linien eingermaßen "stimmig" sind - finde ich gerade Kohlezeichnungen außerordentlich ausdrucksstark und nach meinem Geschmack "verblaßt" im Vergleich damit, die Wirkung einer Bleistiftzeichnung. 

Das war sicher nicht meine letzte Kohlezeichnung!





Silvester, den 31. Dezember 1922 schreibt Katherine Mansfield - nur 9 Tage vor ihrem Tod folgende berührende Zeilen an eine "Gräfin Russel". Dies ist keine geringere, als ihre ältere Cousine Elizabeth von Arnim, die zu dieser Zeit in 2. Ehe mit einem "Grafen Russel" verheiratet gewesen war, von dem sie sich später "erfolgreich" scheiden ließ - es war die letzte "Ehe" ihres Lebens, danach kamen für sie nur noch "Liebhaber" in Frage...:-) 

"Wie Du siehst, schicke ich Dir diese Zeilen im allerletzten Moment, während das alte Jahr sich bereit macht, uns den Rücken zu kehren. Ich möchte Dir erklären, warum ich Dir so lange nicht geschrieben habe. Es ist nicht aus Mangel an Zärtlichkeit. Aber ich bin in einen Zustand tiefster Verzweiflung gefallen, als ich gewahr wurde, daß die Behandlung mit Röntgenstrahlen mich nur noch mehr schwächen würde (Katherine litt unter Tuberkulose). Und so habe ich denn alles aufgegeben und habe mich entschlossen, ein neues Leben anzufangen (die tapfere Frau kämpfte bis zur letzten Minute!). Aber dieser Entschluß ist noch durch persönliche Komplikationen erschwert worden. Als ich in London ankam, habe ich (Sidney hatte recht) das durchgemacht, was man eine "Persönlichkeitskrise" nennt. Zum erstenmal in meinem Leben war ich von allem gelangweilt. Alles und jedes und jedermann schien mir einen platten, trübseligen, mechanischen Kompromiß darzustellen. Wäre ich bei guter Gesundheit gewesen, so hätte ich die Flucht ergriffen - nach dem dunkelsten Afrika oder in Richtung des Indus oder Ganges, dorthin wo man in solchen Augenblicken flieht, um sich zu erneuern... und um neue Eindrücke zu sammeln, die uns neues Leben verheißen.

Da an solch große Fluchten nicht zu denken war, habe ich meine Schiffe versenkt und bin hierher gekommen, wo ich mit fünfzig oder sechzig anderen Menschen, in der Mehrzahl Russen, zusammenlebe. 
Sie begab sich in die "Obhut" des umstrittenen griechisch-armenischen Weisheitslehrers Georges I. Gurdjieff , der in Fontainebleau bei Paris, in einem alten Karmeliterkloster ein Institut für die harmonische Entwicklung des Menschen betrieb
Gurdjieff verband geistige Lehre mit einem wachen Geschäftssinn.-
Vielleicht hatte er damals so eine Anziehungskraft, wie später Osho (Bhagwan).
DER SPIEGEL nennt ihn: "Mystifax der 20er Jahre".

Anfangs bekam Katherine ein schönes Zimmer zugewiesen. Harte körperliche Arbeit (z.B. Küche, Kuhstall) gehörte zur  "Therapie" Gurdjieffs, um den "Willen zu besiegen". Später mußte sie in eine primitive, feuchte und eiskalte Kammer umziehen. 
Es war Winter und Katherine schwerst lungenkrank!      

Die Biografin Elisabeth Schnack schreibt:
" Mitte Dezember fühlte sich Katherine in ihrer eisigen Zelle so elend, daß sie Murry  (ihr Ehemann) schrieb, sie sei im Begriff, das Institut zu verlassen, denn das Zimmer sei ihr eine hinreichende Lehre gewesen. Gurdjieff  erfuhr von ihrem Zustand, wies ihr wieder das bessere Zimmer an und verwöhnte sie mit einer wunderlichen Heilmethode, die auf einem Aberglauben in seiner kaukasischen Heimat fußte: 
daß nämlich die Luft im Kuhstall heilkräftig für die kranke Lunge sei. Er ließ im Kuhstall eine Empore errichten, stattete sie mit einem Diwan und Perserteppichen aus und verordnete Katherine eine Liegekur." 


Tusche & Aquarell (Ink & Watercolor)





















"...(...) Am 13. Januar 1923 sollte Weihnachten im  russischen Stil gefeiert und ein von Patienten(!)  gebautes Theater eingeweiht werden. Katherine lud Murry dazu ein (...)"


 " (...) Als Murry eintraf, war er erstaunt, sie so glücklich und wie verwandelt zu sehen. Sie zeigte ihm die Empore im Kuhstall und führte ihn herum. Am Abend (09.01.1923) lernte er die Insassen des Instituts kennen. Als sie um zehn Uhr die Treppe zu Katherines Zimmer hinaufstiegen, überfiel sie ein starker Hustenreiz - sie mußte sich aufs Bett legen, erlitt einen Blutsturz und starb innerhalb von zwanzig Minuten unter den Händen der von Murry herbeigerufenen Ärzte"

Katherine schreibt weiter an die "Gräfin Russel":
Es ist eine phantastische, unbeschreibliche Existenz. Man könnte sich irgendwo in Bochera, in Tiflis oder Afghanistan glauben, vom Klima leider abgesehen. Aber sogar dieses ist nicht mehr wichtig, wenn man mit großer Schnelligkeit fortgetragen wird. Denn wir leben in einem Wirbelwind. Ich vermag Dir jetzt kaum zu sagen, welche Freude ich empfinde, mit lebendigen Menschen zusammenzuleben, mit wißbegierigen, lebhaften Wesen, die sich nicht scheuen, natürlich zu sein... (...),
Aber all das scheint lächerlich. Das Elend mit Briefen ist, daß sie so ungeschickt wirken. 
Ich habe seit Oktober nichts geschrieben und werde es vor dem Frühjahr nicht tun. Ich muß neue Stoffe haben; ich bin meiner kleinen Geschichten müde; sie gemahnen mich an in Gefangenschaft geborene Vögel.
Adieu, meine liebe Cousine. Ich werde nie mehr jemanden begegnen wie Dir, und ich werde mich stets der kleinsten Dich betreffenden Dinge erinnern." 

Quelle: 
Katherine Mansfield - Das Leben sollte sein wie ein stetiges Licht
Briefe, Tagebücher, Kritiken, Fischer TB 1983



Berührend ist auch Katherines "Wortliste" im Tagebucheintrag vom November 1922 - 
sie lernte russisch, um sich mit Gurdjieff verständigen zu können. 
Die erhaltenen Worte machen deutlich, was sie durchlitten hatte:
Mir ist kalt.
Bringen Sie Papier um Feuer anzuzünden.
Papier.
Glühende Asche.
Holz.
Zündhölzchen.
Flamme.
Rauch.
Stark.
Kraft.
Ein Feuer anzünden.
Kein Feuer mehr.
Weil das Feuer nicht mehr brennt.
Weißes Papier.
Schwarzes Papier.
Wieviel Uhr ist es?
Es ist spät.
Es ist noch früh.
Gut.
Ich möchte russisch mit Ihnen sprechen.   


Quelle: 
"Katherine Mansfield - Leben und Werk in Texten und Bildern"  
Von Ida Schöffling, insel tb, 1996


Hier ist ein kritischer, ausführlicher Artikel über Gurdjieff.

Bei all ihrer Bewunderung für Gurdjieff beschrieb Katherine Mansfield ihn dennoch so:
"wie ein Teppichhändler aus der Tottemham Court Road"  -

- und welcher Mensch könnte sich schon davon freisprechen, "im Zustand tiefster Verzweiflung", nicht doch jemanden auch als "Wunderheiler" anzusehen, den er - im topfitten Zustand -  sicher treffender, nur noch als "Teppichhändler" bezeichnen würde...?   

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